Interview zum Jahrestag von Amnesty International e. V. im Südbahnhof und zur Lage im Iran in Bezug auf unsere iranischen Adoptionsfälle

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  • Beitrag veröffentlicht:25. September 2021
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Moderation Peter-Michael Friedrichs
September 2021

Liebe Jutta Koebernick, du bist die ‚Iranexpertin‘ in unserer Gruppe und kümmerst dich zur Zeit insbesondere um drei inhaftierte Frauen, Menschenrechtsaktivistinnen, die wegen ihres Engagements in völlig unfairen Verfahren zu langen Haftstrafen verurteilt worden sind. Über die Anwältin Nasrin Sotoudeh haben wir im Interview mit Silja schon einiges erfahren, aber du wirst uns nun von den anderen zwei Fällen berichten. Es geht um Yasaman Aryani und ihre Mutter Monireh Arabshahi.

Im März 2019 ging ein Video um die Welt. Es wurde in den sozialen Netzwerken zig tausende Mal angeklickt. Wie konnte es dazu kommen?

Am 08. März 2019 am Weltfrauentag haben Yasaman Aryani und ihre Mutter Monireh Arabshahi in einem Frauenabteil der Teheraner U-Bahn Blumen an die mitreisenden Frauen verteilt. Sie taten dieses ohne Kopfbedeckung und ließen die Aktion mit dem Handy filmen. Yasaman sagt in dem Video zu den Frauen, dass sie hofft, dass eines Tages alle iranischen Frauen die Freiheit haben werden zu tragen was sie wollen. Das Video haben sie anschließend über soziale Netzwerke geteilt und es verbreitete sich enorm schnell.

Warum hast du erwähnt, dass Mutter und Tochter bei der Aktion unverschleiert, d.h. ohne Kopfbedeckung waren?

Das ist von enormer Bedeutung, denn seit 1979 gibt es eine strenge Kleiderordnung im Iran , die u,a. das obligatorische Tragen einer Kopfbedeckung vorschreibt und von der sogenannten Sittenpolizei kontrolliert wird. Bei Verstößen drohen hohe Strafen. In den letzten Jahren hat sich allerdings eine mutige Gegenbewegung formiert, die in Videos oder auf öffentlichen Plätzen ihre Kopftücher abnehmen. Teilweise binden sie ihre Kopfbedeckung an viel befahrenen Straßen an Stöcke, halten diese vor sich und riskieren damit verhaftet zu werden.

Gehörte Yasaman auch dieser Bewegung an?

Ja und sie ist 2018 deswegen schon 1 Jahr im Gefängnis gewesen- sie wussten also sehr genau, welches Risiko sie und ihre Mutter eingingen.

Nach der Veröffentlichung des Videos wurde Yasaman dann auch am 10.April verhaftet. Als ihre Mutter sich am nächsten Tag auf dem Polizeirevier nach ihrem Verbleib erkundigen wollte, wurde sie ebenfalls verhaftet und wie ihre Tochter in das Teheraner Evin Gefängnis gebracht. Dort verbrachten beide Frauen viele Wochen in Einzelhaft, ohne Kontakt zur Familie und ohne Kontakt zu einem Anwalt. In einem unfairen Verfahren ohne Rechtsbeistand wurden dann Mutter und Tochter zu jeweils 16 Jahren Haft verurteilt.

Gab es denn irgendeine Begründung für dieses harte unmenschliche Urteil?

Es sind die üblichen Begründungen, aufgrund derer viele Menschenrechtsaktivistinnen verurteilt werden: „Versammlung und Verschwörung gegen die soziale Sicherheit“ und „Anstiftung zu und Begünstigung von Verdorbenheit und Prostitution“ ( auch bei Nasrin S.)

Und wie kommt es, dass sich die Krefelder ai Gruppe für diese beiden Frauen einsetzt?

Schon kurz nach der Verhaftung haben wir den Fall verfolgt, aber nach diesem fürchterlichen Urteil beschlossen wir aktiv zu werden und an die Öffentlichkeit zu gehen. Im September 2019 hatten wir eine Aktion in der Stadt, wir banden Kopftücher an Stöcke, hielten diese in die Luft und wurden von zahlreichen Passanten angesprochen, was das sollte. So konnten wir über die Hintergründe aufklären, Briefe und Petitionslisten unterschreiben lassen. Da nicht nur wir den Fall öffentlich gemacht hatten, sondern sich auf der ganzen Welt Menschen für Yasaman Aryani und Monireh Arabshahi einsetzten, wurde 2020 tatsächlich die Haftstrafe auf 9 Jahre verkürzt, von denen mindestens 5,5 Jahre abgesessen werden müssen. Dann wäre Yasaman 29 Jahre alt.

Wie ist es Mutter und Tochter denn im Gefängnis ergangen?

Ende 2019 wurden beide Frauen in das schlimmste Frauengefängnis Irans (Quarchak) überführt- dort sitzen überwiegend kriminelle Frauen ein und nur wenige politische Häftlinge. In den ersten Tagen wurde Yasaman aufs schlimmste von anderen Häftlingen verprügelt, offenbar angestiftet von den Gefängniswärtern.

Ihre Mutter Monireh Arabshahi leidet an einer fortgeschrittenen Schilddrüsenerkrankung, die gesamte Haft über hat man ihr ihre notwendigen Medikamente verweigert so dass sich die Erkrankung massiv verschlimmert hat.

Ende Juli ist Monireh A. endlich in ein Krankenhaus verlegt worden und man kann nur hoffen, dass sie dort richtig behandelt wird.

Yasaman Aryani bekam gegen eine hohe Kaution am 06.Juli für ca 4 Wochen Hafturlaub. Anfang August musste sie jedoch in das schreckliche Qarchak Gefängnis zurück. Einen Tag vorher hat diese mutige junge Frau ein Video auf Instagram veröffentlicht, in dem sie sagt, dass sie nach 3 Jahren Gefängniserfahrung entschlossener, mutiger und stärker sei als vorher .

Wir suchen die Unterstützung von möglichst vielen Menschen. Auch Sie können tätig werden. Briefe schreiben hilft wirklich, wie wir aus langen Jahren unserer Tätigkeit wissen.. Die Briefe für beide Frauen finden Sie an unserem Infostand. Je mehr Menschen sich für die Beiden einsetzen, umso größer sind die Erfolgsaussichten, dass weitere Hafterleichterungen erfolgen

Wie stellt sich aktuell die Lage im Iran dar?

Bevor ich die Frage beantworte, möchte ich einleitend etwas genereller zu diesem Land sagen.

Die ARD Korrespondentin Natalie Amiri sagt in Ihrem Buch ‚Zwischen den Welten‘ folgendes:

Iran ist ein Land der Gegensätze. Nichts ist so wie es scheint.

Die Bevölkerung ist erschöpft vom Kampf ums Überleben in dem korrupten System. Die Staatsideologie zieht bei vielen nicht mehr.

Umfrage von SS 2020: 70% der Bevölkerung wollen mit Religion nichts mehr zu tun haben und wünschen sich eine Trennung von Staat und >Kirche. Das war aber nur eine Umfrage, wie religiös das Land wirklich noch ist, weiß niemand.

Was man jedoch weiß ist, dass sich in den letzten 2 Jahrzehnten zunehmend Parallelgesellschaften gebildet haben. Das öffentliche Leben (Arbeitsplatz, Uni, …) auf der einen Seite, das private Leben auf der anderen -> hier schafft man sich Freiräume, spielt mit Grenzüberschreitungen: Privatparties mit verbotenem Alkohol, verbotener Musik, Parties in der Wüste, Frauen ohne Kopfbedeckung ….es gab schon zahlreiche Berichte im westlichen Fernsehen über diese Widersprüchlichkeiten. Man sollte dann aber nicht den Schluss ziehen: Ist ja doch alles nicht so schlimm

Die Angst erwischt zu werden, denunziert zu werden spielt nämlich eine große Rolle in der Psyche der Iraner. Der schizophrene Lebensstil führt zu hohem Konsum von Psychopharmaka.

Es soll hier aber nicht der Eindruck entstehen, dass Iraner in der Öffentlichkeit nur angepasst sind- das zeigen die zahlreichen Proteste in der Vergangenheit und Gegenwart , besonders seit Beginn 2018 bis Frühjahr 2020 – es verging,. kaum eine Woche ohne dass nicht irgendwo im Land teilweise lauthals teilweise leise protestiert wurde- Busfahrer, Lehrer, Studenten, Bauern, LKW Fahrer, Gewerkschaftler….Auch kürzlich gab es massive Proteste ausgehend von der Provinz Khuzestan , diese Provinz leidet unter extremer Dürre und schrecklicher Hungersnot. Die Proteste weiteten sich bald auf das gesamte Land aus und in vielen großen Städten, auch in Teheran, gingen tausende auf die Straße und riefen u.a. ‚Tod dem Diktator‘.

Mit der Wahl des neuen Präsidenten Ebrahim Raisi , ehemaliger Oberster Richter des Iran, wird es auf keinen Fall besser werden in dem Land. Er ist ein absoluter Hardliner, ist gegen jegliche Reformen, gilt als ultrakonservativ und war verantwortlich für unzählige Todesurteile und 1988 für die Massenhinrichtungen von politischen Gefangenen.

Was kann die westliche Politik tun, was können wir tun?

Seit Dezember 2020 gibt es einen neuen EU Sanktionskatalog. Nun wird es möglich sein, Vermögenswerte von Personen, Organisationen und Unternehmen einzufrieren, wenn sie an Folter, systematischer sexueller Gewalt und anderen Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren. Außerdem kann ein Einreiseverbot verhängt werden.

Politiker sollten bei Gesprächen mit dem Iran IMMER auf die Menschenrechtsverletzungen hinweisen und deren Ende fordern. Und wir können die Politiker durch Briefe und Petitionen immer wieder an diese Pflicht erinnern.

Außerdem natürlich Briefe an die Verantwortlichen im Iran verschicken, Unterschriften sammeln …

Das Video ist hier zu sehen:
https://youtu.be/x-8HjNN7YAg

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